Ich bin, was mir geschieht

Heidrun Hegewald
Ich bin, was mir geschieht
Aus Notaten und Reden der letzten zwei Jahrzehnte entsteht ein differenzierter, aufwühlender Einblick in das Leben und Denken der Künstlerin Heidrun Hegewald.
VERLAG NEUES LEBEN, Berlin 2011, 160 Seiten
ISBN 978-3-355-01787-9
Euro 9,95
BERND HEIMBERGER
Unruhe der Unbequemen
Heidrun Hegewald war wer in der DDR. Sie war eine beachtete, anerkannte wie abgelehnte Künstlerin. Sie war im Vorstand und Präsidium des Verbandes Bildender Künstler der DDR. Und das nicht nur einer ausgerufenen Frauenquote wegen. Hegewald war eine Gefragte, weil sie eine Fragende war. Eine, die nicht nur hinnahm, eine, die etwas hinzuzugeben hatte. Das Unbequeme machte sie zur Unbequemen.
In der Kunst der Malerin und Graphikerin, die ihr Denken ist, in ihrem Denken, das Geisteskunst ist, artikuliert sie die unterschiedlichsten Dinge, die ihre Unruhe ausmachen. Es ist die Unruhe der Unbequemen. Lebenslang! Im Kunstmachen autonom, äußert die ihre Autonomie auch in der Kunst des Schreibens. »Ich bin, was mir geschieht« ist der Titel einer Sammlung mit Schriftstücken der Schreiberin. Das Buch ist ein breiter und hoher Damm gegen die »Diktatur der Dummheit«. Eine Autorin spricht, die keine Anstrengung scheut, die Leser anzustrengen. Sätze stehen da wie Säulen. Auch als Denk — mal. Derartiges kennt man im Ost-Deutschen von Bildhauern wie Wieland Förster und Werner Stötzer. Heidrun Hegewald ist die Dritte im Bunde.
Hegewald, 1936 in Meißen geboren, ist ein gebranntes Kind. Sie hat das brennende Dresden des 13. Februar 1945 gesehen, gerochen, gefühlt. Das hat sich eingebrannt in Herz und Hirn der Heidrun Hegewald. Sie kann nicht umhin, in der Helle das Dunkel, im Dunkel das Helle wahrzunehmen und in ihrer Kunst, in ihrem Schreiben Wirklichkeit werden zu lassen. In einigen Schriftstücken formuliert die Autorin Erinnerungen an die Kindheit. Einer der persönlich-privaten Texte, »Dresden« überschrieben, bringt eine der bittersten Lebenserfahrungen auf den Punkt: »Ich habe meine Kindheit an den Krieg verloren.« Das war Prägung. Das ist zum Brandmal fürs Leben geworden. Das Leben einer Frau, die von sich sagt: »Ich war und blieb eine fanatische Beobachterin.« Und die kann nicht anders: Sie muß auf das Wesentliche, das Eigentliche, also stets auf das Existentielle achten. Jederzeit, überall, in allem.
Es könnten sämtliche Texte biographische Schriftstücke genannt werden. Denn, welcher ist nicht ein Text von und für Heidrun Hegewald? Biographisch ist das Schreiben, indem es ein Schreiben wider bleibende Selbstzweifel ist. Schreiben bedeutet für Hegewald, sich Mut anzuschreiben, sich Gewißheit anzuschreiben, sich Stabilität anzuschreiben. Schreiben bedeutet desweiteren, die Sprache vor Schändung zu schützen. Die Texte trotzen der Verelendung, Verarmung der deutschen Sprache. Wort für Wort. In den persönlichsten Äußerungen ebenso wie in den politischen. Der Wille zum Denken fördert und forciert die polemisch-philosophischen Äußerungen. Die werden am deutlichsten in der assoziativen Sprache. Vor allem, wenn die apodiktische Formulierung begünstigt wird. Ihr ist Hegewald so zugeneigt wie den schön geschmirgelten Sätzen. Jeder gute Gedanke ist der philosophisch, politisch Ambitionierten einen guten Satz wert. Gedanken und Gedankenansatz sollen stimmen. Dicht an Dicht drängen sich die Gedanken. Jeder Gedanke der Leser wird sofort in den Hintergrund geschoben, da der nächstfolgende Gedanken-Satz der Vor- und Nach-Denkerin vorübersaust. Das macht atemlos. Egal, ob die Kunst, die Gesellschaft, die Person Gegenstand der Gedanken sind.
Ihre Gedanken-Linien aufs Papier zu bringen, hat sich Heidrun Hegewald nichts leicht gemacht. Wieso den Lesern das Lesen erleichtern? Zumal, wenn Leben nicht leichtfertig als leichtfertige Angelegenheit gesehen wird. Was viel, was alles über die Verfasserin von »Ich bin, was mir geschieht« sagt. Was auch sagt, daß sie ist, was sie geschehen läßt. Heidrun Hegewald ist wer: Heidrun Hegewald!
MONIKA MELCHERT
Der Seele Grund
Heidrun Hegewald: Worte und Bilder
Dass die Malerin Heidrun Hegewald auch schreibt, ist seit langem bekannt. Eine starke Affinität zur Literatur wird nicht zuletzt aus ihren zahlreichen Arbeiten zu Büchern der Dichter sichtbar. Nun sammelt der Band »Ich bin, was mir geschieht« Texte aus den letzten 20 Jahren, Notate, Tagebuchblätter, Reden. Und wir begegnen einer nachdenklichen, intuitiven, manchmal ganz expressiven Prosa. Einer Ausdrucksweise, die aufhorchen lässt, die keinerlei Beliebigkeit zulässt. Die in ihren besten Beispielen auf den Grund der Seele sehen lässt, so in den Tagebuchseiten 2008/ 2010 von ihrem kleinen Nebenwohnsitz in Wustrow auf dem Darß. Spät erst, im Alter, gönnt sie sich diese Erfüllung eines frühen Traums – den sie sich finanziell kaum leisten kann. Und muss auf einmal registrieren, dass man sieht, wie sie hier einmal etwas ganz allein für sich beansprucht. Darf sie das? Ja und ja, kann es nur heißen. Ihr, der Malerin, öffnen sich am Meer alle Sinne, Augen und Ohren, Herz und Hände. »Zu viel Schönheit ist wie ein Aufprall, bevor die Seele sich öffnet.« Was Heidrun Hegewald aber in ihren Reden zu Ausstellungen von Kollegen (etwa von Marguerite Blume-Cárdenas und Günter Blendinger oder der angolanischen Malerin Manuela Sambo) sagt, widerlegt jede Art von Egoismus. Da zeigt sie rückhaltlos respektvolle Anerkennung und unverhohlenen Genuss. Schön auch die Erfahrungen der Griechenland-Reise mit ihrer Freundin Gina Pietsch. Genaues Beobachten ist ihr Lebenselixier.
Die dem Band beigegebenen grafischen Arbeiten Heidrun Hegewalds verstehen sich nicht als Illustrationen, laden aber dazu ein, sich vom Text zum Bild, vom Bild zum Text zu bewegen und die geistige Welt dieser Künstlerin zu entdecken. »Darß, Mond-Nacht«, das »Pina-Bausch-Zitat« oder ein Blatt zu Bruno Apitz' »Esther« geben so Einblick in ganz verschiedene Bereiche von Heidrun Hegewalds Welt-Ansichten. Man kann in ihren Bildern lesen, wie man ihre Texte betrachten kann – immer führen sie mitten hinein in die Denkgebäude einer seit fünf Jahrzehnten produktiven Künstlerin, die zu den bedeutendsten zeitgenössischen Malern gehört. Die ihre innere Verankerung in der DDR auch heute nicht leugnet. Geboren 1936, aufgewachsen in Meißen und Dresden, gehört sie zur Generation der Kriegskinder und hat sich eine lebenslange Sensibilität für die Grausamkeit bewahrt, die in jeglicher Gewalt von Menschen gegen Menschen liegt. Dünnhäutig ist sie geblieben. Das Dunkle und Dramatische ihrer Bildsprache erklärt sich auch daraus. Ihr Betroffensein von dem, was die Welt umwirbelt und oft genug zu zerreißen droht, findet sie in dem Gedanken des französischen Aufklärers Pierre de Marivaux wieder: »Ich bin, was mir geschieht, denn ich bin ja derjenige, dem es geschieht.« Sie ist diejenige, immer wieder.
Die Kunst, von der man heute kaum leben kann, nennt sie sarkastisch »Geistig-ästhetischer Tand mit Anleitung für die Verfeinerung und Sinngebung von Leben«. Produkte, die sich so schwer verkaufen lassen. Ein Armutszeugnis unserer Gegenwartsgesellschaft. Deshalb versteht auch sie sich als eine Aufklärerin, noch immer. Sie hat die Kraft dazu.